Viele Geschlechter

VERSTEHEN: Mehr als zwei Geschlechter

Anne Fausto-Sterling: Fünf Geschlechter

Die US-amerikanische Biologin und Geschlechterforscherin Anne Fausto-Sterling erforscht, wie in den Wissenschaften Geschlecht und Geschlechterunterschiede hergestellt und verfestigt werden. Sie untersuchte wissenschaftliche Bestimmungen und kam zu dem Ergebnis, dass Geschlecht eine große Varianz aufweise und es daher mehr als zwei Geschlechter geben müsse. Aktuelle Debatten um und die Anerkennung von intersexuellen Personen als ein drittes Geschlecht stützen Fausto-Sterlings frühe Erkenntnis.

Weiterlesen

  • Heinz-Jürgen Voß (2011): Making Sex Revisited. Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive.
  • Sigrid Schmitz/ Ebeling, Smilla (2015): Gender und Biologie. Von der kritischen Analyse zur reflexiven Intervention. In: Rendtorff, Barbara (Hg.): Erkenntnis, Wissen, Intervention. Beltz Juventa: Weinheim, S. 37-52.
  • Palm, Kerstin (2015). Gehirnforschung. In  Gender Glossar.

Zweigeschlechtlichkeit als Norm

Zweigeschlechtlichkeit als Norm

In dieser Lektion setzen wir uns mit der Norm der Zweigeschlechtlichkeit auseinander, also mit den Folgen davon, dass wir Menschen in Männer und Frauen einteilen. Bevor wir uns die Norm der Zweigeschlechtlichkeit genau anschauen, klären wir zunächst, was gesellschaftliche Normen sind und wie sie wirken. Um leichter zu verstehen, worum es bei der Norm der Zweigeschlechtlichkeit geht, analysieren wird anschließend eine Abbildung. Danach schauen wir uns an, wie die Norm sich im Sport und in der Medizin auswirkt.

Die Norm der Zweigeschlechtlichkeit und die NASA-Plakette

Eine gesellschaftliche Verhaltenserwartung ist die soziale Norm der Zweigeschlechtlichkeit. Sie führt zu Ausschluss, Benachteiligung und Gewalt gegen all jene, die ihr nicht entsprechen.

Um zu verstehen, was mit der Norm der Zweigeschlechtlichkeit gemeint ist, analysieren wir eine Plakette der US-amerikanischen Aeronautik- und Raumfahrtbehörde (NASA). Diese Plakette verwendet der Literaturwissenschaftler Michael Warner in seinem Buch „Fear of a queer planet“ ebenfalls um die soziale Norm der Zweigeschlechtlichkeit zu illustrieren.

In der folgenden Präsentation erläutern wir die Norm der Zweigeschlechtlichkeit anhand der NASA-Plakette.

Hier gibt es den Text zu den Folien.

Hier kannst du dir den Inhalt der Folien vorlesen lassen.

Die Analyse der NASA-Plakette macht deutlich, dass die Norm der Zweigeschlechtlichkeit zwei Komponenten hat:

Erstens, werden Menschen in zwei gegensätzliche Geschlechter eingeteilt (Mann und Frau). Diese Einteilung wird als natürlich angenommen. Die Einteilung von Menschen in zwei Geschlechter wird permanent hergestellt, sowohl in gesellschaftlichen Institutionen und Strukturen (Rechtssystem, Bildung, Arbeitsmarkt, …) als auch im alltäglichen Miteinander.

Die Selbstverständlichkeit von Zweigeschlechtlichkeit im Alltag zeigt sich beispielsweise daran, dass die erste Frage bei Babies lautet: Ist es ein Junge oder ein Mädchen? Können Menschen andere Menschen auf der Straße nicht eindeutig zuordnen, rufen sie schon mal hinterher: Bist du ein Mann oder eine Frau? Oder sie gehen diese Menschen gar körperlich an. Und Kinder stellen Fragen wie: Aber du bist doch eine Frau, warum trägst du dann kurze Haare und weite Hosen? Ständig versuchen wir Menschen als geschlechtlich eindeutig oder uneindeutig einzuordnen, obwohl wir damit in der Realität häufig falsch liegen (Video von anyway.tv).

Es wird von allen Menschen erwartet, dass sie sich in dem Zwei-Geschlechter-System verorten. Die Norm der Zweigeschlechtlichkeit trifft folglich alle Menschen einer Gesellschaft, wenngleich in unterschiedlich starkem Maße. Darüber hinaus hängt die Norm der Zweigeschlechtlichkeit mit der Norm der Heterosexualität zusammen. Die beiden gegensätzlichen Geschlechter werden als natürlichweise aufeinander bezogen verstanden. Der Norm der Heterosexualität widmen wir uns intensiver in der nächsten Lektion.

Zweitens, werden diese beiden Geschlechter hierarchisch angeordnet. Der Mann bildet die gesellschaftliche Norm und die Frau wird als bezogen auf den Mann gedacht. Dass die Einteilung und Hierarchisierung der Geschlechter sich über die Jahrhunderte entwickelt hat, wurde in der Lerneinheit zu “Gender” bereits erläutert.

Im Folgenden schauen wir uns die Wirkung der Zweigeschlechternorm anhand von zwei Beispielen aus den Bereichen  – Sport und Medizin – genauer an.

Familienpolitik

ERKENNEN: Geschlechterungleichheiten am Beispiel Familienpolitik

Trotz der vielen gewonnenen Kämpfe gibt es weiterhin rechtliche Rahmenbedingungen, die ein hierarchisches Geschlechterverhältnis eher reproduzieren als für mehr Gleichstellung der Geschlechter zu sorgen. Ein Beispiel dafür ist die Familienpolitik in Deutschland, wie die folgende Präsentation verdeutlicht:

Rechenaufgabe zum Ehegattensplitting

Die vorherige Präsentation hat gezeigt: Das Ehegattensplitting ist umso vorteilhafter, je größer der der Einkommensunterschied zwischen den Eheleuten ist. In der folgenden Aufgabe lernst du, wie das Ehegattensplitting berechnet wird und löst gleichzeitig einige Beispielaufgaben.

Formeln zur Einkommenssteuerberechnung

Abhängig vom jeweiligen Einkommen werden unterschiedliche Berechnungsformeln zugrundegelegt, um die Steuerschuld der Ehepartner*innen zu ermitteln. Die Berechnungsformeln für das Jahr 2019 sehen beispielsweise so aus:

Alternativezu versteuerndes EinkommenFormeln
a)bis 9.168 EuroESt = 0
b)von 9.169 Euro bis 14.254 EuroESt = (980,14 * y + 1.400) * y
y = (zvE – 9.168) / 10.000
c)von 14.255 Euro bis 55.960 EuroESt = (216,16 * z + 2.397) * z + 965,58
z = (zvE – 14.254) / 10.000
d)von 55.961 Euro bis 265.326 EuroESt = 0,42 * zvE – 8.780,9
e)ab 265.327 EuroESt = 0,45 * zvE – 16.740,68

Sexuelle Identität und AGG

ERKENNEN: sexuelle Identität im AGG

Se

Was ist das AGG?

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ermöglicht es, gegen Ungleichbehandlungen aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Identität rechtlich vorzugehen. Im Paragraph 1 des Gesetzes wird aufgeführt, welche Diskriminierungen juristisch relevant sind:

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.​

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (Paragraph 1)

Diskriminierungsformen nach dem AGG

Im AGG wird zwischen verschiedenen Formen der Diskriminierung unterschieden. Alle diese Formen können die sexuelle Identität, also die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität, betreffen.

Der Begriff "sexuelle Identität" im AGG

Der Begriff sexuelle Identität wird im AGG nicht näher definiert. Der Gesetzesbegründung des AGG zufolge hat der Begriff zwei Bedeutungen:

Mit der Zuordnung der Geschlechtsidentität zur sexuellen Identität unterscheidet sich das AGG vom europäischen Recht. Der Europäische Gerichtshof fasst Trans- und Intergeschlechtlichkeit unter das Merkmal Geschlecht und nicht unter das Merkmal sexuelle Identität (Antidiskriminierungsstelle des Bundes). In Deutschland sind Frauen und Männer mit dem Merkmal Geschlecht im AGG berücksichtigt. Der Gesetzeserläuterung des AGG folgend, fallen “homosexuelle Männer und Frauen ebenso wie bisexuelle, transsexuelle oder zwischengeschlechtliche Menschen” (Bundesregierung, 2006: 31) unter das Schutzmerkmal sexuelle Identität. Die Bundeszentrale für politische Bildung erläutert im Detail den Umgang mit Geschlechtsidentität im deutschen Recht.

Selbstbezeichnungen

VERSTEHEN: Selbstbezeichnungen und Geschlechtervielfalt

Geschlechtliche Selbstbezeichnungen

Wer ein Facebook-Profil anlegen möchte, kann zwischen mehr als zwei Optionen wählen. Dabei hat sich Facebook die verschiedenen Kategorien nicht einfach ausgedacht, vielmehr gibt es eine Vielzahl an geschlechtlichen Selbstbezeichnungen. Ein paar der am häufigsten verwendeten stellen wir Dir in der folgenden Präsentation vor:

Wissenschaftliche Forschungsgebiete, die sich mit der gesellschaftlichen Entstehung von Geschlecht und der Norm auseinandersetzen, wonach es nur zwei Geschlechter gibt, sind Transgender und queer Studies. Hier einige Lektürtipps:

Weiterlesen

  • Transgender Studies Quarently
  • Susan Stryker (2013): The Transgender Studies Reader 2: The Transgender Studies Reader 2.
  • Sabine Hark (2005): queer Studies. In: Christina von Braun; Inge Stephan (Hrsg.): Gender@Wissen. Ein Handbuch der Gender-Theorien. Böhlau, Köln / Weimar / Wien. S. 285–303.
  • The Routledge queer Studies Reader (Routledge Literature Readers).
  • Haase, Matthias, Marc Siegel und Michaela Wünsch (2005)(Hrsg.): Outside: die Politik queerer Räume. 1. Aufl. Berlin: b_books.

Namen und Pronomen

Namen und Pronomen verwenden wir täglich, auch im Kontext von Medien. Zum Beispiel, wenn wir Menschen per E-Mail für ein Interview anfragen (z.B. Liebe* Frau Turan) oder sie in einem Dokumentarfilm vorstellen (z.B. Er geht gerne mit seinem Hund spazieren.).

Besonders mit dem verwendeten Pronomen wird auch immer eine Aussage über das Geschlecht einer Person getroffen. Im Deutschen sind Pronomen herkömmlicherweise in zwei Geschlechter – männlich (er/ihn) und weiblich (sie/ihr) – aufgeteilt. Damit werden all jene Personen ausgeschlossen, die sich nicht binär verorten.

Nicht-binäre Pronomen sind beispielsweise:

  • xier
  • hem
  • hen (aus dem Finnischen)
  • eins
  • per
  • sie_er
  • they (aus dem Englischen)

Wie nicht-binäre Pronomen verwendet werden, kannst du über den Nichtbinär-Wiki erfahren.

Tipps zum Umgang mit Namen und Pronomen

Oftmals gibt es beim Thema Namen und Pronomen große Unsicherheiten. Die Akademie der bildenden Künste Wien gibt in einer Broschüre daher einige praktische Tipps. Ein paar dieser Tipps haben wir hier zusammengefasst:

Frag nach, mit welchem Namen und Pronomen eine Person angesprochen werden möchte. Wenn du nicht weißt, welches Pronomen eine Person verwendet, setze erst einmal den Namen an die Stelle des Pronomens (z.B. Ist das Claudes Fahrrad?).
Wir sind alle darauf getrimmt, Menschen automatisch einem Geschlecht zuzuteilen. Verwendet eine Person, die wir als weiblich wahrnehmen, ein männliches Pronomen, kann es passieren, dass wir ausversehen einmal das falsche (weibliche) Pronomen benutzen.
Wenn dir auffällt, dass du eine Person falsch angesprochen hast, korrigiere und entschuldige dich. Langwierige Entschuldigungen bitte vermeiden, um nicht unnötig Aufmerksamkeit auf die falsch bezeichnete Person zu lenken.
Mach dein Gegenüber darauf aufmerksam, wenn diese Person ein falsches Pronomen oder einen falschen Namen für jemanden verwendet. Mach das auch, wenn die betreffende Person gar nicht anwesend ist. Du solltest dir grundsätzlich sicher sein, dass die betreffende Person dies auch möchte.
Wenn du noch den alten Namen oder das vorherige Pronomen einer Person kennst, plaudere es nicht einfach aus. Geh damit vertraulich um und oute die Person nicht gegen ihren Willen.

Anatomisches Geschlecht: Historische Beispiele

VERSTEHEN: Historische Beispiele der Konstruktion des anatomischen Geschlechts

Zwei Geschlechter werden eingeteilt ...

Feministische Historiker*innen haben herausgestellt, dass die Vorstellung vom anatomischem Geschlecht als zweigeteilt in Mann und Frau durchaus nicht immer vorherrschend war und ein eher junges Phänomen darstellt. Sie konnten zeigen, dass die Einteilung in Männer und Frauen, wie wir sie kennen, keine natürlich Ordnung ist, sondern auch eine gesellschaftlich gemachte. Diese Ordnung wurde erst im 18. Jahrhundert mit der Ausbreitung der ‚westlichen‘, bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft hervorgebracht.

Der US-amerikanische Geschichtswissenschaftler Thomas Laqueur hat beispielsweise in seiner Studie „Auf den Leib geschrieben“ (1996) herausgearbeitet, dass bis zum Ende des 17. Jahrhunderts in vielen Regionen politische, wirtschaftliche, aber auch alltägliche Vorstellungen von einem Ein-Geschlechter-Modell geprägt waren. Der Unterschied zwischen Männer und Frauen war darin weniger fundamental. Vielmehr galten Frauen als unvollständige Männer, wie auf der folgenden Abbildung zu sehen ist:

Hier gibt es den Text zu den Folien.

Hier kannst du dir den Inhalt der Folien vorlesen lassen.

Mit der Vorstellung, dass der Mann das Ideal, die Frau das Andere, die Abweichung oder das Defizitäre darstellt – die, deren Geschlecht innen bleibt –, war zwar schon zu dieser Zeit ein hierarchisches Geschlechtermodell vorherrschend. Die Unterscheidung zwischen den biologischen Geschlechtern war jedoch nicht so strikt und Geschlecht war etwas, das prinzipiell veränderbar war. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass es auch eine gesellschaftliche und politische Frage ist, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Geschlechtern zählen und wie sie interpretiert werden und wurden.

Anatomisches Geschlecht (Sex)

VERSTEHEN: Das anatomische Geschlecht als soziale Konstruktion

In der vorhergehenden Lektion hast Du die Unterscheidung zwischen Sex und Gender, zwischen dem biologischen und dem sozialen Geschlecht, kennengelernt. Mit dieser Unterscheidung wird betont, dass das soziale Geschlecht nicht vom biologischen Geschlecht abgeleitet werden kann, gesellschaftliche Rollen und Positionen also nicht naturgegeben sind.

Das biologische Geschlecht wird hingegen als außerhalb gesellschaftlicher Einflüsse, eben als natürlich gedacht. Gegen diese Unterscheidung hat es seit Anfang der 1990er Jahre vielfältige Einwände gegeben, die herausstellen, dass auch unsere Vorstellungen vom biologischen Geschlecht nicht frei von dem Einfluss gesellschaftlicher und historischer Interaktion und Interpretation ist. Darum geht es in dieser Lektion.

Gender und Sex als soziale Konstruktion

Im Folgenden geht es um ein Verständnis von Geschlecht, wonach sowohl Sex als auch Gender sozial konstruiert sind. Dabei geht es nicht darum, zu behaupten, unsere Körper seien nicht so – oder sogar gar nicht vorhanden, sondern darum, ihre historisch und kulturell spezifische Konstruktion zu untersuchen. Wie beinflussen unsere Umwelt und soziale Normen unseren Körper?

Für die Ausweitung unseres Verständnisses davon, was gemeint ist, wenn wir von der sozialen Konstruktion von Gender (und Sex) sprechen, ist in den deutschsprachigen Gender Studies der Name Judith Butler zentral.

Wie bereits in Lektion 2.4 “Soziales Geschlecht” erwähnt, hat Judith Butler in ihrem 1990 erschienen Buch „Gender Trouble“ die These aufgestellt, dass das anatomische Geschlecht nicht die natürliche Grundlage ist, als das es bisher vielfach verstanden wurde, sondern ebenso eine soziale Konstruktion wie das soziale Geschlecht. Sie hinterfragte besonders Vorstellungen, wonach Frauen eine einheitliche Gruppe sind und es nur zwei, genau zwei Geschlechter gibt.

Das Argument, dass das antatomische Geschlecht eine soziale Konstruktion ist, betrifft unsere Vorstellung von Körpern. Dabei geht es nicht darum, dass es keine Körper gibt – schließlich sind sie für uns alle alltäglich erfahrbar. Vielmehr werden die Vorstellungen über Körper hinterfragt, die sich in das Empfinden über ‘unseren’ Körpern eingeschrieben haben. Der Körper wird zu einem sozial und medizinisch komplexen Gegenstand. Die Philosophin Antke Engel schreibt dazu:

Es gibt nicht einfach den Körper – es gibt das Körpergeschlecht, das bei der Geburt erstmalig und im Laufe des Lebens immer wieder (formal, institutionell, diskursiv) zugeschrieben wird; es gibt ein subjektives geschlechtliches Körperempfinden, das sich im Laufe der Zeit verändert; es gibt die Wahrnehmung des Körpers durch andere, mittels derer immer wieder Geschlechtlichkeit geordnet wird; es gibt eine habituelle oder situative Expressivität; es gibt einen Körpergeschichte verschiedenster psychischer und physischer Erfahrungen (…)

Was unser Körper ‚ist‘, wird also auf verschiedenen Ebenen bestimmt, die von den Gender Studies analysiert werden. Im nächsten Abschnitt schauen wir uns an, wie das anatomische Geschlecht zu verschiedenen Zeit eingeteilt, bezeichnet und damit gesellschaftlich hergestellt wurde.

Geschlechterverhältnisse sind hierarchisch

VERSTEHEN: Geschlechterhierarchien

In dieser Lektion hast Du einen ersten Einblick in das Konzept Gender bekommen. Zentral für dieses Konzept ist die Annahme, dass Geschlechterunterschiede gesellschaftlich hervorgebracht werden. Diese Geschlechterunterschiede sind hierarchisch angeordnet, wie wir nun erläutern.

Geschlechterverhältnisse sind hierarchisch ...

In dem folgenden Video widmen wir uns den Auswirkungen dieser Konstruktion: der Hierarchie im Geschlechterverhältnis.

In unserem letzten Video ist der Begriff Androzentrismus aufgetaucht. Hier zur Wiederholung eine Beschreibung seiner Bedeutung. Die Definition der US-amerikanischen Politikwissenschaftlerin Nancy Fraser fasst das Phänomen wie folgt:

Grundzug der genderbezogenen Ungerechtigkeit ist sicherlich der Androzentrismus: eine autoritative Konstruktion von Normen, die mit Männlichkeit assoziierte Merkmale privilegiert. Begleitet wird dies von einem kulturellen Sexismus: der weit verbreiteten Abwertung und Herabsetzung von allem, was “feminin” codiert ist, d.h. paradigmatisch – aber nicht nur – Frauen.​

Prof. Nancy Fraser (1997: 41), Politikwissenschaftleriin

Weiterlesen

  • Nancy Fraeser (1997): Die halbierte Gerechtigkeit. London/New York: Routledge.

Konstruktion von Geschlecht: Debatte

VERSTEHEN: Debatten um die soziale Konstruktion von Geschlecht

In der Frauen- Geschlechterforschung (Gender Studies) besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass Gender (soziale Geschlecht) sozial konstruiert ist. Allerdings ist umstritten, wie weitreichend der Begriff der Konstruktion, besonders in Hinblick auf das biologische Geschlecht (Sex), ausgelegt wird. Das lässt sich anhand einiger Beispiele illustrieren, wie der folgende Zeitstrahl zeigt.

Männlichkeit

VERSTEHEN: Die soziale Konstruktion von Männlichkeit

Dass bei dem Konstruktionsprozess von Gender nicht nur zwei Geschlechter hergestellt werden, sondern hierarchische Geschlechterverhältnisse, ist auch Gegenstand eines Forschungszweiges, der sich explizit mit Männlichkeit auseinandersetzt: die Kritische Männlichkeitsforschung.

Kritische Männlichkeitsforschung

Kritische Männlichkeitsforschung (auch Men’s Studies genannt) analysiert, wie Männlichkeit und männliche Identitäten hergestellt werden.  Der Sozialwissenschaftler Michael Meuser fasst wie folgt zusammen, worum es bei Kritischer Männlichkeitsforchung geht:

Um das Mannsein, dessen alltagsweltliche Deutung und Bedeutung.​

Die Kritische Männlichkeitsforschung entstand in den 1980er Jahren und ist als Teil der Gender Studies (auch Geschlechterforschung genannt) ebenfalls ein interdisziplinäres Forschungsfeld.

Themen der Kritischen Männlichkeitsforschung sind beispielsweise: männliche Sozialisation, Jungenforschung, Männlichkeit und Arbeit, Männlichkeiten in Organisationen, Männergesundheit und Männergeschichte, Männlichkeit und Vaterschaft, etc.

Hegemoniale Männlichkeit nach Raewyn Connell

Raewyn Connells Konzept der hegemonialen Männlichkeit ist ein wichtiger theoretischer Bezugspunkt für Kritische Männlichkeitsforschung. Connell entwickelte das Konzept in dem 1999 erschienen Buch “Der gemachte Mann“, um die gesellschaftliche Verknüpfung von Männlichkeit und Herrschaft zu analysieren.

Connell beschreibt zwei Aspekte von Männlichkeit:

1. Es gibt unterschiedliche Formen von Männlichkeit, die miteinander konkurrieren.

2. Es existiert ein dominante (hegemoniale) Idee von Männlichkeit, der alle Männlichkeitsentwürfe untergeordnet sind.

Vier Männlichkeitskonzepte

Connell unterscheidet vier Männlichkeitskonzepte:

Die hegemoniale Männlichkeit bezeichnet die vorherrschende und innerhalb von einem historischen und kulturellen Kontext milieuübergreifend akzeptierte Form von Männlichkeit. Dieser Männlichkeit sind alle anderen Männlichkeitsentwürfe untergeordnet.

Die komplizenhafte Männlichkeit bezeichnet jene Männlichkeit, die in Form der “patriarchalen Dividende” von der Macht derjenigen Männer profitiert, die die hegemoniale Männlichkeit verkörpern. Viele Männer profitieren (teils unbewusst) von der Geschlechterungleichheit in unserer Gesellschaft. Sie haben einen Vorteil davon, dass Frauen bei der Besetzung von Führungspositionen benachteiligt und im Schnitt schlechter bezahlt werden als Männer.

Zur Gruppe der komplizenhaften Männlichkeit gehören, laut Connell, die meisten Männer.

Mit dem Begriff der marginalisierten Männlichkeit weist Connell darauf hin, dass Männlichkeit mit anderen Machtachsen wie Rassismus, Klassenverhältnisse oder BeHinderung verwoben ist. Männern, die von Rassismus betroffen sind, fällt es beispielsweise ungleich schwerer von der patriarchalen Dividende zu profitieren als weißen Männern.

Auf der untersten Stufe der Männlichkeitshierarchie stehen laut Connell homosexuelle und transgeschlechtliche Männer. Diese Männlichkeiten stellen die heterosexuelle, hegemoniale Männlichkeit durch ihr Sein am stärksten in Frage. Andere Männlichkeiten versuchen häufig sich von Homosexualität oder Transgeschlechtlichkeit abzugrenzen und diese abzuwerten, um sich selbst aufzuwerten.

Die patriarchale Dividende

Connell argumentiert, dass trotz der Tatsache, dass nur wenige Männer den normativen Ansprüchen hegemonialer Männlichkeit (zum Beispiel weiß, muskulös, groß, etc.) entsprechen, die überwiegende Mehrzahl der Männer von der Vorherrschaft dieser Männlichkeitsform profitiert.

Mit dem Begriff der patriarchalen Dividende beschreibt Connell den allgemeinen Vorteil, der Männern aus der Ungleichbehandlung und Unterdrückung von Frauen erwächst. Diese Teilhabe an der patriarchalen Dividende müsse nicht damit einhergehen, dass Männer sich gewalttätig oder respektlos gegenüber Frauen verhalten.

Wenn ich von einer patriarchalen Dividende spreche, meine ich genau diese Interessen. Männer profitieren vom Patriarchat durch einen Zugewinn an Achtung, Presige und Befehlsgewalt. Sie profitieren aber auch materiell.​

Alle Männer profitieren, ob sie dies wollen oder nicht, davon, dass Frauen beispielsweise

  • als weniger durchsetzungsstark und damit weniger geeignet für Führungspositionen angesehen werden,
  • tendenziell selbstverständlich für Kinder und die Pflege von Angehörigen zuständig sind oder
  • für die gleiche Arbeit schlechter bezahlt werden.

Je nachdem, ob Männer noch von Rassismus, Homophobie oder Behindertenfeindlichkeit betroffen sind, ist es für sie ungleich schwerer dem Ideal der hegemonialen Männlichkeit zu entsprechen. Sie profitieren daher in geringerem Maße von der patriarchalen Dividende oder müssen mehr Zeit und Energie aufwenden, um mehr von dieser Dividende zu profitieren.

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